Da beginnt sie nun. Die erste Woche in der neuen Familie. Wirklich wissen, was ich
machen soll, weiß ich nicht. Es ist kein normales Au Pair. Das wusste ich.
Dennoch klang es interessant. Zwei Tage dem Vater auf der Arbeit helfen, drei
Tage zu Hause helfen. Dass es kein normales Au Pair ist allein durch das ältere
Alter der Kinder klar. Sie sind halt nicht im Au Pair-Alter.
Vielleicht stelle ich nun einmal die 39-köpfige Famile vor: Eltern, Kinder
(16,15,13,12,8,5), Hunde (2, älter), Katze, 2 Goldfische, 5 Enten und 21 Hühner
(männlich und weiblich). Ja dazu kam dann ich. Außerhalb des Grundstückes
gehören noch Schafe, Pferde und Kühe dazu. Die Anzahl ist mir allerdings
unbekannt. Die Familie ist sehr aufgeschlossen und offen. Abgeschlossen wird im Prinzip nur, damit die Hunde manchmal auch ausgesperrt werden können um nicht jeden
Tag das Essen zu klauen. Die Türen öffnen können sie nämlich selbst – Schlüssel
umdrehen nicht! Hier habe ich mein Zimmer im Erdgeschoss, somit im Haus und
nicht auf dem Grundstück, was ich sehr schätze.
Wenn ich zu Hause arbeite, heißt es so ab mittags ein wenig aufräumen und dann den Kleinen bei den Hausaufgaben helfen, mal hier und mal da auch was zu essen kochen. Am
ersten Tag habe ich dafür sehr zeitig angefangen um abzuschätzen wie lange ich
brauche. In den folgenden Tagen war das dann ein wenig reguliert, sodass ich
den späten Vormittag nutzen konnte um mal was vom schönen Glengarriff zu sehen.
Einfach traumhaft.
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im 'Bamboo-Park' |
So konnte ich Dienstagvormittag etwas besuchen, was man jetzt nicht direkt nach
Irland einordnet. Den ‚Bamboo-Park’. Voller Bambus, Palmen und allerlei
Pflanzen die eher tropisch anzusiedeln sind. Allerdings ist es für solche
Pflanzen im Südwesten Irlands durch den nordatlantischen Golfstrom möglich zu
überleben. Es ist jedenfalls eine tolle Sache dieser Park. Zudem hat man an Aussichtspunkten einen tollen Blick über ‚Glengarriff Harbour’. Lustig ist aber indes, wie der ‚Bamboo-Park’ irgendwie ein minimales Zeichen gibt, wieso es in der Wirtschaft Irlands momentan nicht so rund läuft. Normalerweise kostet der Park zwischen 3,5 Euro für Studenten und 6 Euro für Erwachsene Eintritt. Wie gesagt,
normalerweise. Denn es gibt einen offiziell ausgeschilderten zweiten Eingang.
Und da ist keine Kasse und kein Hinweis, dass es was kostet. So habe ich beim Rausgehen durch den offiziellen Eingang der Frau im Häuschen nett zu gewunken und beim Umdrehen zum Eingangsschild gemerkt, dass der Park ja eigentlich Eintritt
kostet. Im Nachhinein merkte man der Frau die Verwunderung an, dass sie mich an
dem Tag noch nicht gesehen hatte (Es waren ungefähr fünf Personen im Park),
aber Eintritt habe ich dann auch nicht mehr bezahlt. Naja, irgendwie amüsant.
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Blick über 'Glengarriff Harbour' |
In der Familie steht im Keller ein Kicker. Klar, denk ich mir, das kannste ja so
halbwegs. Da wirste dich schon nicht blamieren. Ich gehe frohen Mutes zum
Tisch, möchte Spielen und der Schock folgte auf dem Fuß (oder eher der Hand).
Die Iren haben nicht nur auf der Straße Linksverkehr, sondern auch beim
Kickern. Und statt einem Torwart, zwei Abwehrspieler hinten. Also als
Aufstellung haben die 2-3-5-3 oder halt eher 3-5-3-2. Bescheuert. Nach zwei,
drei Eigentoren aus Reflex bekomm ich das langsam halbwegs hin. Es fühlt sich
halt jeder Schuss wie eine Art Rückhandschlag an. Ich bin echt gespannt, wie
das in Deutschland wird, sofern ich hier noch das ein oder andere Spiel mache.
Also ich werde mich nicht wundern, wenn ich nur noch Eigentore machen werde.
Beim ersten Mal kochen, sollte ich mich laut meiner Gastmutter nicht so sehr aus dem
Fenster lehnen. Es wurde dann ‚Reis in frischer Currysoße an gedünsteten
Karotten, Champions und Erbsen im Dialog mit gebratener Zuchini’. Okey man kann
es auch einfach Reiseintopf mit Zuchini nennen, aber da lass ich mal
Interpretationsspielraum. Geschmeckt hat es jedenfalls allen.
Der Mittwoch kann unter dem Motto Zeit gesehen werden. Mit
Ausnahme von ein paar Tagen beim Zivildienst hatte ich bisher nie das Vergnügen
der ganztägigen körperlichen Arbeit. So jedoch heute, als ich bei meinem
Gastvater mitgefahren bin, der „Builder“ ist. Heute bedeutete dies für mich,
neben anderen schönen Dingen, mit einem Kollegen meines Gastvaters zusammen
fünf Tonnen (ja, 5000 Kilo) Kies einen langen Weg mit der Schubkarre zu
transportieren. Wäre ja zwar anstrengend, aber nicht so hart, wenn es nicht
einen steilen Hang herunter gewesen wäre. Durch das Gewicht ständig versucht zu
bremsen, ging es dann natürlich mit der leeren Schubkarre auch ungefähr hundert
Mal wieder bergauf. An diesen Wanderungen hatte ich viel Zeit um nachzudenken.
Was sind denn hundert Mal laufen? Wie lange wird man brauchen? Wie spät ist es
eigentlich? Ohne Uhr ausgestattet, fiel mir ein Gedicht ein, welches ich in
einem Workshop während meines Zivildienstes mal verwendet habe:
„Um den Wert eines Jahres zu erfahren, frage einen
Studenten, der im Schlussexamen durchgefallen ist.
Um den Wert eines Monats zu erfahren, frage eine
Mutter, die ein Kind zu früh zur Welt gebracht hat.
Um den Wert einer Woche zu erfahren, frage den
Herausgeber einer Wochenzeitschrift.
Um den Wert einer Stunde zu erfahren, frage die
Verlobten, die darauf warten, sich zu sehen.
Um den Wert einer Minute zu erfahren, frage jemanden,
der seinen Zug, seinen Bus oder seinen Flug verpasst hat.
Um den Wert einer Sekunde zu erfahren, frage jemanden,
der einen Unfall erlebt hat.
Um den Wert einer Millisekunde zu erfahren, frage
jemanden, der bei den Olympischen Spielen eine
Silbermedaille gewonnen hat.
Die Zeit wartet auf niemanden!“
Ja und wenn ich auf das heutige Datum schaue, der 19. September 2012, kann ich darüber nachdenken, was es heißt einen Monat zu leben, oder eben nicht zu leben. Wie viel passiert in dem einen Monat? Wie viel ist das überhaupt, ein Monat? Heute weiß ich es.
Am folgenden Tag körperlicher Arbeit stand das Schließen von Wandlöchern auf dem
Programm. So hieß es Zementkloppen und alles was so dazugehört. Ich muss sagen,
man lernt doch einiges, auch wenn es anstrengend ist.
Wenn ich manchmal wieder nach Bantry möchte, kann ich morgens mit meiner Gastmutter
mitfahren. Zurück nach Glengarriff bleiben mir allerdings die Möglichkeiten des
Taxis oder des Trampens. Oder halt des Laufens. Nach Monaten völliger
Unsportlichkeit, habe ich mal geguckt, wie lange ich aus dem Stand für die
ungefähr siebzehn Kilometer brauche. Mit meinen knapp 110 Minuten bin ich da
doch recht zufrieden. Vor allem, wenn ich daran denke, dass es in diese
Richtung leicht bergauf geht. Direkt danach meinte meine Gastmutter, ob ich nicht
Lust hätte, im Mai den ‚BayRun’ (Halbmarathon) mitzumachen. Ja nur mal
halblang! Okay, ne Überlegung wäre es wert. Das klappt ja wohl auch ohne
Training!
Ein Teil meiner Arbeit hier ist es auch, dem Ältesten Mathenachhilfe zu geben. Er
steht kurz vor dem Abi und hat da doch einiges aufzuholen. Den ganzen Stoff des
Leistungskurses mal in einer anderen Sprache zu behandeln, ist schon
interessant und sicherlich lehrreich. Vor allem weil sein Formelbuch
zweisprachig ist. Aber nicht Deutsch sondern Irisch-Englisch! Keine Sorge, wenn
ich am Ende des Jahres Englisch kann und vielleicht das Wort ‚Ableitung’ auf
Irisch, reicht mir das völlig!
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im Hintergrund 'Bantry Bay' |
Das Wochenende war mal wieder zum Wandern da. Direkt am Rande der Weltstadt Bantry
liegt ein Berg, oder auch nur Hügel wie man es nimmt, der einen netten
Aussichtspunkt über ‚Bantry Bay’ hat. Dieser ist übrigens sehr gut geeignet um
seine ‚Mental-Map’ zu korrigieren und zu verbessern. Der schönere Teil kam dann
aber danach. Quer durch Feld und Wiesen, auf und ab, ging es im Prinzip um den
Berg herum, bis wir nach über einer Stunde an einer Straße aufgesammelt wurden.
Es gab auf dem Weg auch Zäune, die übergangen werden mussten. Natürlich musste
ich die Qualität testen und bin mit einem Fuß auf den Zaun. Urteil: Mangelhaft.
Weitere Hinweise auf den Ausgang des Experimentes kann man sich nun sparen.
Nach einer Nacht auf ‚meiner’ Couch im Zentrum Bantrys, folgend auf einen
gemütlichen Pubabend ohne (!) Cargo, folgte zunächst relativ müde das Trampen
zu einem Restaurant, an dem mich Freundinnen abgeholt
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vor 'Dursey Island' sprangen Delfine |
haben. Es ging auf den ‚Ring of Beara’, eine Küstenstraße auf der ‚Beara Peninsula’. Okay, eigentlich war nur ‚Castletownbere’ geplant, aber auf Grund des schönen Wetters, und der reizvollen Streckenpunkte sind wir noch ein ganzes Stück weiter gefahren. Vorweggenommen haben wir am Ende fast die gesamte Peninsula (=Halbinsel)
umkurvt. Es war beeindruckend. Von Steinkreisen, über Felsklippen,
auftauchenden Delfinen und einem Strand, an dem ich sogar ‚abgezippt’ kurz im
Ozean war. Bei diesem ‚Ritt durch den Ozean’ begleitete uns ein freilaufender
Hund, den wir, bei mehr Platz im Auto, auch gerne mitgenommen hätten. Ich hätte
es jedenfalls gerne getan. Zugegebenermaßen roch er ein wenig streng und das Auto war ja auch nicht meins, aber das spielt ja auch keine Rolle.
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an der Spitze der 'Barea Peninsula' |
Das vorletzte Stück auf der Tour ging kontinuierlich bergab quer über die Halbinsel. Ohne Gang und somit Sprit sparend, störte uns wenn dann nur hier und da mal ein Schaf, welches seelenruhig mitten auf der Straße sein Dinner einnahm. Aber der Schwung kam ja bei der nächsten Kurve wieder.
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'abgezippt' im Atlantik |
Herrlich dieser Anblick freilaufender oder eher freistehender Schafe, die das Leben so genießen können wie Tiere es sollten. Frei und nicht zusammengepfercht in irgendwelchen Ställen. Kurz vor dem Ende mussten wir doch noch einmal ‚blöde Touris’ spielen.
Ein Hauseigentümer hat allen Ernstes sein Haus inklusive Garage
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das nenn ich Geschmack |
vollkommen in
grellem Pink gestrichen. Da musste man doch vor posieren! Und das, obwohl ein
Auto vor der Tür stand, sodass es möglich ist, dass von Innen uns welche
beobachtet haben. Wat solls, da is man nunma Touri!
Ja, die erste Woche in der neuen Familie. Wie kann ich die zusammenfassen? Viele
Eindrücke, neue Erfahrungen, chaotisches angenehmes Leben, aber nicht mehr
wirklich ein Au Pair. Ich bin gespannt, wie sich das Leben dort weiter
entwickelt.